Aber leider nicht für alle. Auch Studierende sind bei Praktika zum Teil ausgenommen. Die wichtigsten Inhalte des Tarifautonomiestärkungsgesetzes und die Bewertung der Gewerkschaftsjugend hat André Schönewolf in soli aktuell 08-09/2014 zusammengefasst.
Getzgebung allgemeines
Am 3. Juli 2014 hat der Deutsche Bundestag das »Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie« mit breiter Mehrheit beschlossen. Dieses Gesetz regelt auch einen gesetzlichen Mindestlohnanspruch von 8,50 Euro pro Zeitstunde ab dem 1. Januar 2015. Der Bundesrat hat dieses Gesetz am 11. Juli 2014 bestätigt.
Bis 31. Dezember 2016 sind Übergangsfristen in einzelnen Branchen möglich. Voraussetzung: Die Sozialpartner schließen Tarifverträge, die »für allgemeinverbindlich erklärt« werden, d. h. sie gelten für alle Beschäftigten der Branche, unabhängig davon, ob der Betrieb tarifgebunden ist oder nicht.
Das ist der Mindestlohn
Übergangsfristen wurden bisher vereinbart für Friseur_innen, für die Beschäftigten der Fleischindustrie und in der Land- und Forstwirtschaft bzw. im Gartenbau. Diese haben aber spätes-tens ab dem 1. Januar 2017 Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Höher liegende Branchenmindestlöhne haben natürlich weiterhin Bestand.
Über die Erhöhung entscheidet eine Kommission, bestehend aus Vertreter_innen von Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaft. Die erste Anhebung ist für den 1. Januar 2017 geplant. Der Mindestlohn soll fortan alle zwei Jahre steigen und sich dabei an der allgemeinen Lohnentwicklung orientieren. Das bedeutet: Gute Tarifabschlüsse sind gut für die Entwicklung des Mindestlohns.
Ausnahmen
Für wen gilt der Mindestlohn nicht? Jugendliche unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose für die Dauer der ersten sechs Monate, Auszubildende. Für Praktikant_innen im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung oder im freiwilligen Berufsausbildungsorientierungspraktikum (maximal drei Monate). Ausgeschlossen sind auch Menschen in Einstiegsqualifizierungen und dual Studierende.
"Branchenspezifische Sonderregelungen" gelten für Zeitungszusteller_innen: Sie haben ab 1. Januar 2015 mindestens Anspruch auf 75 Prozent des Mindestlohns (6,38 Euro), ab 1. Januar 2016 auf 85 Prozent (7,23 Euro) und ab 1. Januar 2017 auf 8,50 Euro. Das Problem: Zeitungszusteller_innen werden für gewöhnlich nach Stück- und nicht nach Stundenlohn bezahlt. Der Arbeitgeber muss nun die angemessene Anzahl der ausgetragenen Zeitungen definieren. Hier droht Missbrauch!
Saisonarbeiter_innen haben zwar ab dem 1. Januar 2015 Anspruch auf den Mindestlohn, allerdings muss der Arbeitgeber aufgrund der "50-Tage-Regelung" für kurzfristige Beschäftigung keine Sozialabgaben entrichten. Diese Regelung aus dem SGB IV wurde bis zum 31. Dezember 2018 befristet erweitert – auf 70 Tage. Zudem kann der Arbeitgeber auf den Lohn die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und Wegegeld anrechnen. Offen bleibt: Wer zahlt die Sozialversicherungsbeiträge? Sind die Beschäftigten krankenversichert?
Generelle Einschätzung
Die Einführung des Mindestlohns verbessert die Einkommenssituation von ca. 3,7 Millionen Beschäftigten in diesem Land. Neben dem Mindestlohn sieht das Ergebnis auch weitere Verbesserungen vor, wie z. B. die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Die vielzähligen Ausnahmen machen jedoch aus dem Gesetz einen Flickenteppich. Über zwei Millionen Beschäftigte haben dadurch keinen Anspruch auf den Mindestlohn zum 1. Januar 2015. Die jetzige Höhe des Mindestlohns schützt nicht vor Altersarmut, ist aber ein richtiger Einstieg. Wir fordern die zügige Erhöhung auf 12,40 Euro/Stunde.
Ausnahme U 18
Die pauschale Ausnahme Jugendlicher unter 18 Jahren verstößt aus unserer Sicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Ein solcher Totalausschluss Jugendlicher ist in Europa einmalig. Das Argument der Arbeitgeber, der Mindestlohn halte Jugendliche davon ab, eine Ausbildung zu beginnen, entbehrt jeder Grundlage. Richtig ist, dass es nach wie vor zu wenige Ausbildungsplätze gibt. Wir halten an unserer Forderung einer Ausbildungsgarantie fest!
Es ist zu befürchten, dass bestimmte Branchen ihre Stellen nun vermehrt mit Jugendlichen oder Langzeitarbeitslosen besetzen, um den Mindestlohn zu umgehen. Diese werden dann nach Ablauf der jeweiligen Frist ausgetauscht. Vergleiche aus anderen Ländern belegen diesen Effekt (z. B. Einzelhandel in Dänemark).
Verbesserung bei Praktika
Für alle freiwilligen Praktika, die nach einer Berufsausbildung oder einem Studienabschluss geleistet werden, gilt ab 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn.
Freiwillige Praktika zur Berufsausbildungsorientierung sind bis zu drei Monate vom Mindestlohn ausgenommen. Fortan gibt es ein zwingendes Recht auf einen schriftlichen Praktikumsvertrag, der das verfolgte Lern- und Ausbildungsziel, den Beginn und die Dauer des Praktikums sowie Urlaubsansprüche und Vergütung regelt.
Durch das Gesetz wird das Praktikum erstmalig außerhalb des Berufsbildungsgesetzes definiert:
"Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt."
Ergo: Das Praktikum ist ein Lernverhältnis!
Praktisches
Um Missbrauch zu verhindern, hat die Große Koalition angekündigt, 1.600 neue Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zu schaffen, die die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren soll. Allerdings waren dort bisher 500 Stellen unbesetzt – und die neuen Kontrol¬leur_in¬nen müssen erst ausgebildet werden. Frühestens 2017 kann eine wirksame Kontrolle durch die FKS sichergestellt werden.
Der DGB wird zum 1. Januar 2015 eine Hotline einrichten.
André Schönewolf ist DGB-Jugend-Referent.
Kampagnenseite der DGB-Jugend: www.facebook.com/MindestlohnFuerAlle
Infos mit FAQs: www.mindestlohn.de
Infotelefon des Bundesarbeitsministeriums: Tel.: 030/221 91 10 04
(aus der Soli 8-9/14, Autor: André Schönewolf)