Gedenkkultur: Ohne Erinnerung an die Geschichte gibt es keine Gegenwart. Von Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB
Geschichte vergeht nicht. Geschichte ist weder einfach "zu bewältigen" noch "zu überwinden". Sie ist Voraussetzung der Gegenwart und der Umgang mit ihr bestimmt auch ganz wesentlich die Zukunft eines Landes. Es ist unsere Pflicht, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus aufrecht zu erhalten. Und vor allem ist es unsere Pflicht, nicht aufzuhören, diesen Teil unserer Geschichte weiter in den Köpfen der Menschen zu vergegenwärtigen. Das ist deshalb eine besonders dringliche Aufgabe, weil viele Menschen - Gott sei es gedankt - die Ereignisse nur aus Filmen, literarischen Texten, Geschichtsbüchern oder vom Hörensagen kennen. Die Zahl derjenigen, die persönlich ihre Geschichte erzählen können, wird mit Fortlauf der Zeit naturgemäß geringer. Darum ist die nachgeborene jüngere Generation darauf angewiesen, dass wir ihr vermitteln, was damals geschehen ist. Nicht nur das, es ist unsere Aufgabe, historisches Wissen und emotionale Betroffenheit so zu vermitteln, dass sie eine Beziehung zur Gegenwart herstellen können und für politische Verantwortung bereit sind. Wir müssen auch in der Zukunft dafür Sorge tragen, dass rechtsextremes, antisemitisches Gedankengut in unserer Gesellschaft und insbesondere in der Politik keinen Platz hat.
Immer wieder gibt es aktuelle Ereignisse, die einen aufhorchen lassen und zeigen, dass wir vor rechtsextremistischen Strömungen in unserer Gesellschaft nicht gefeit sind. Fatal ist, dass es auch nach so langer Zeit und Aufklärungsarbeit keine Garantie gibt, dass der Staat und seine Organe so funktionieren, wie es unsere demokratische Verfassung vorsieht. Wir alle haben mit Schrecken, Unverständnis und Betroffenheit in den Medien das Aufdecken der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) verfolgt. Jahreslanges Fehlverhalten der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden, das ungerechtfertigte Verdächtigungen der Familienmitglieder der Opfer mit sich brachte. Der NSU-Untersuchungsausschuss hat parteiübergreifend festgestellt, dass es so etwas in der Geschichte des bundesdeutschen Parlamentarismus noch nicht gegeben hat. Das Fazit war klar: Sicherheits- und Ermittlungsbehörden dürfen die rechtsextreme Gefahr nie wieder so fahrlässig gering einschätzen. Es ist unbeschreiblich, was diese Rückschläge für die Demokratie und unsere Glaubwürdigkeit bedeutet haben und bedeuten.
Diese Beispiele zeigen uns, dass es für eine freie und demokratische Gesellschaft viel Engagement braucht: von Eltern, Lehrern, Schülern, Autoren, von Künstlern, Politikern, Wissenschaftlern und nicht zuletzt von Gedenkstätten, Dokumentationszentren. Und von uns als Gewerkschaften, die wir gesellschaftspolitische Akteure und Gestalter sind.
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Demokratie und ihre Mechanismen gefährdet werden und Menschen sich nicht mehr sicher fühlen können. Dem können wir nur gerecht werden, indem wir immer wieder erinnern und uns und unser Handeln überprüfen. Dabei muss der Maßstab immer die unantastbare Würde des Menschen sein, die unsere Verfassung garantiert. Dazu passt ein Zitat von Hannah Arendt, die sagte: "Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen, was sich daraus - für heute - ergibt."
Dahinter steht ein hoher Anspruch: Nur Menschen, die sich erinnern, wie es gewesen ist, und daraus entschieden Konsequenzen ziehen, werden ein Bewusstsein für unsere Gesellschaft und Politik entwickeln. Wenn in einer Gesellschaft Frieden und Freiheit herrschen, dann ist das kein Zufall, sondern von Menschen gemacht. Daran mitzuarbeiten, dass sich nie wiederholt, was geschehen ist, bleibt immerwährender Auftrag an uns - und an folgende Generationen.
Elke Hannack ist stellvertretende Vorsitzende des DGB.
(aus der Soli 1/14, Autorin: Elke Hannack)