20. DSW-Sozialerhebung: Kinder aus Akademikerfamilien entscheiden sich fürs Studium, andere nicht. Muss das so sein?, fragt Nora Köpke

(Soli aktuell 8-9/13) 20. DSW-Sozialerhebung: Kinder aus Akademikerfamilien entscheiden sich fürs Studium, andere nicht. Muss das so sein?, fragt Nora Köpke

Tim schleicht sich leise in die große Halle. Vorsichtig tastet er sich zu seiner Luftmatratze, die zwischen zwei schnarchenden Physikstudis liegt. Geschafft lässt er sich auf ihr nieder. Was für ein Tag: Uni, Bibliothek, Pizza ausfahren - und mal wieder für ein Stipendium beworben. "Aber hey", denkt Tim beim Einschlafen, "Danke, Mom, Danke, Dad - ich bin ein Akademikerkind."

Warum sich Tim bedankt? Weil er trotz allem privilegiert ist. Denn 77 von 100 Akademikerkindern studieren an einer Hochschule. Demgegenüber stehen magere 23 von 100 Facharbeiterkindern, die den Sprung an die Uni schaffen. Das geht aus der neuen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) hervor. Von Chancengleichheit kann hier keine Rede sein - und in Anbetracht von hochschulpolitischen Schlüsselbegriffen wie Exzellenz oder Elite ist fraglich, inwieweit Gerechtigkeit überhaupt ein politisches Anliegen ist. Denn wenn auch das Bildungsniveau insgesamt gestiegen ist, ist "der Zugang zum deutschen Hochschulsystem sozial nach wie vor selektiv", sagt DSW-Präsident Dieter Timmermann.

Ein akademischer Grad ist immer noch der höchste Bildungsabschluss in der Bundesrepublik. Demnach wäre es umso wichtiger, dass alle jungen Menschen den gleichen Zugang zu einem Studium erhalten, unabhängig von Herkunft oder Elternhaus. Aber Fakt ist auch, dass Studierende viel investieren müssen: Jobben, unbezahlte Praktika, Vorlesungen besuchen und hinterher BAföG abbezahlen. Tim gehört zu den 61 Prozent der Studierenden, die neben dem Studium arbeiten müssen, er hat dadurch - und aufgrund von Lehrveranstaltungen und Selbststudium - eine 42-Stunden-Woche. Er gehört nicht zu den vier Prozent, die ein Stipendium bekommen. Zudem findet er kein WG-Zimmer und muss mit den vielen anderen Erstsemestern in einer Turnhalle unterkommen, bis er etwas anderes gefunden hat. Trotzdem kann er dankbar sein, dass seine Eltern studiert haben, da sie genug Geld verdienen, um ihn finanziell unterstützen zu können. Außerdem haben sie ihn überhaupt erst zu seiner Entscheidung ermutigt.

Für Studierende aus so genannten Facharbeiterfamilien, die zudem noch als einkommensschwach gelten, verschärft sich die Situation um ein Vielfaches. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagt, dass gerade für diese jungen Menschen BAföG unverzichtbar ist. Das Problem ist, dass die studentische Ausbildungsförderung schon lange einer Reform bedarf: "Zahlreiche Nullrunden sorgten dafür, dass Bedarfssätze und Freibeträge mit den steigenden Preisen nicht mehr Schritt hielten", so die Gewerkschafterin.

Hinzu kommt der psychologische Stress, zügig studieren zu müssen. Denn wer startet schon gerne mit einem Schuldenberg ins Berufsleben? 

Trotzdem: Akademikereltern für alle? Nein, danke. Aber Chancengleichheit für alle. Dafür brauchen wir neue Impulse: Man sollte auch mit einer Berufsausbildung zum Studium zugelassen werden. Und man sollte in der Schule schon gezielt Kinder aus Facharbeiterfamilien ermutigen, später ein Studium aufzunehmen.


Die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks gibt's auf www.studentenwerke.de

Nora Köpke, 26, hat ihren Master an der Global Labour University gemacht. Im Juli 2013 hospitierte sie bei der DGB-Jugend.


(aus der Soli aktuell 8-9/13, Autorin: Nora Köpke)